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Revue-Operette „Casanova“ in Stuttgart: Liberace meets Comedian Harmonists

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Casanova gibt es nicht. Zumindest nicht als Person aus Fleisch und Blut in unserer Gegenwart. In ihr ist er ein Prinzip, ein Mythos, der um erotische Verführung, sexuelle Potenz, Galanterie und nicht zuletzt eine phallusbestimmte Männlichkeit kreist. Schon Federico Fellini hat ihn in seinem Film als Clown dekonstruiert. Seine Lebensgeschichte selbst ist ein Stück Memoirenliteratur geworden, aus der man sich bedienen kann.

Überschreibung der Strauss-Überschreibung

Ralph Benatzky hat sich in seiner Operettenrevue „Casanova“ entsprechend verhalten und Motive aus den Abenteuern des venezianischen Liebhabers zu einer losen Handlungskette zusammengebunden. Sie ist Anlass für Musik. Eine Musik, die sich wiederum bei einem anderen Mythos der klassischen Operette bedient. So überschreibt Benatzky einfach die Musik aus Strauss‘ weniger bekannten Operetten wie „Cagliostro in Wien“, „Indigo und die 40 Räuber“ oder „Prinz Methusalem“ und und kombiniert sie mit anderen populären Stücke wie der „Pizzicato-Polka“. Und dann lässt er noch die Comedian Harmonists erstmals öffentlich mit der für die Gruppe später so typischen ironischen Musik auftreten. Was macht man daraus heute? Eine weitere Überschreibung, die sich nun Marco Štorman mit seiner Inszenierung an der Staatsoper Stuttgart gönnt!

Las-Vegas-Revue mit Liberace und reichlich Phallussymbolik

Die rudimentäre Handlung wird gekappt, wie auch die Operette mit ihren Zwischentexten. Der Show-Charakter der Revue dominiert dergestalt auch auf der Bühne von Demian Wohler mit einer organisch aussuppenden Showtreppe, den Glitzervorhängen und den schrill überbordenden Kostümen von Yassu Yabara. Hinzu kommt eine Choreografie von Cassie August Jørgensen, die mit Geschlechteridentitäten spielt. Es ist eine Show, angelehnt an Las Vegas und die barocken Performances eines Liberace. Und so spielt man sich durch die Varianten von Begehren, erotischen Maskeraden, einer Phallussymbolik von Kerzen, Kugeln, Patronen und Raketen. Da wimmelt es von Anspielungen und Andeutungen, Elon Musk kommt als bestechender Monarch auf die Bühne und selbst das Frauenbild unserer Neofaschisten wird karikiert. Diese Mixtur ist aber alles andere als lustig. Das Rollenmodell des Casanovas erscheint zuerst wie die aus der Muschel geborene Venus mit langem Haar, das dann zum Zopf eines Ancien-Regime-Bewohners gebunden wird, die Wiederholung der bekannten Porträtsilhouette des venezianischen Superliebhabers. Am Ende verausgabt sich dieser Casanova anhand von Sexpillen in die Vergreisung und legt sich dann zur ewigen Ruhe in der sich schließenden Muschel ab.

Trashiger Assoziationsreigen

Form gewinnt dieser ziemlich trashige Assoziationsreigen durch die Musik Benatzkys, die nicht weniger heterogen ist als Štormans Bilderreigen. Dieser musikalische Fluss reicht vom Wiener Walzer über Tango, Flamenco und italienische Mandolinenklänge bis hin zur Kirchenmusik und eben den Comedian Harmonists. Da kommt zusammen, was nicht zusammengehört und verkündet das Verführungsevangelium Casanovas als lustvolles Zusammenspiel der musikalischen Stilmittel. Eine Revue eben.

Kaum etwas in dieser Revue passt zusammen

Aber Štormans lässt dann ausgerechnet in der Szene des Wiener Opernballs aus dem Bühnenhimmel die verwackelte, zittrige Schrift „Revue ne va plus“ (revue geht nicht mehr) herabschweben. Bei aller musikalischen Fetzigkeit geht für ihn diese Revue dann offensichtlich doch nicht auf. Das männliche Begehren wird mit Texten von Judith Schalansky über die griechische Dichterin Sappho als Prinzip des weiblichen Begehrens konterkariert. Zusammen geht das auch nicht, wie eben kaum etwas in dieser Operettenrevue zusammenpasst. Die Montage und Collage dieser Regie betonen mehr die Bruchstellen als die Klebemittel.

Grandios gelingt die Interpretation der Comedian Harmonists

Man muss sich da schon an die Musik halten. Absolut grandios sind Kai Kluge, Elmar Gilbertsson, Moritz Kallenberg, Johannes Kammler und Florian Hartmann mit dem Pianisten Michael Pandya, die die Comedian Harmonists nicht imitieren, sondern als musikalisches Stilprinzip ausleben. Das Staatsorchester wirft sich mit Wucht unter der Leitung von Cornelius Meister in Benatzkys Füllhorn der Revuemusik. Manchmal kracht es aber auch etwas zu vehement aus dem Graben und reduziert Sängerinnen und Sänger zu Lippenbewegern. Man muss in dieser Operettenrevue sicher nicht alles verstehen, ob man aber die Texte nicht auch ohne Obertitelanlage verstehen soll, bleibt eine offene kritische Frage.

In musikalischer Hinsicht eindeutiger als in szenischer

Die Partie des Casanova ist nicht ohne. Bei der Uraufführung sang sie der Bariton Michael Bohnen, damals ein Superstar der deutschen und internationalen Opernbühnen. Michael Mayes stimmliche Spannweite ist enorm, da reicht er an den Uraufführungsinterpreten heran. Das szenisch Groteske beherrscht er. Wohl unfreiwillig verfällt er in den Brechtschen Verfremdungseffekt, mit dem er uns fast schon eindringlich zuwinkt, es wird hier nur gespielt. Als sei es doch auch ihm ein bisschen peinlich, dieser Ganzkörper-Nacktanzug. Esther Dierkes und Moritz Kallenberg sind ein durchaus anrührendes Paar als Laura und Hohenfels, dem man musikalisch das Liebesglück abnimmt. Der Staatsopernchor singt ausgezeichnet. In musikalischer Hinsicht ist der Abend jedenfalls etwas eindeutiger als in szenischer. Er zeigt: Benatzkys Überschreibung der Operette lohnt sich.
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Casanova gibt es nicht. Zumindest nicht als Person aus Fleisch und Blut in unserer Gegenwart. In ihr ist er ein Prinzip, ein Mythos, der um erotische Verführung, sexuelle Potenz, Galanterie und nicht zuletzt eine phallusbestimmte Männlichkeit kreist. Schon Federico Fellini hat ihn in seinem Film als Clown dekonstruiert. Seine Lebensgeschichte selbst ist ein Stück Memoirenliteratur geworden, aus der man sich bedienen kann.

Überschreibung der Strauss-Überschreibung

Ralph Benatzky hat sich in seiner Operettenrevue „Casanova“ entsprechend verhalten und Motive aus den Abenteuern des venezianischen Liebhabers zu einer losen Handlungskette zusammengebunden. Sie ist Anlass für Musik. Eine Musik, die sich wiederum bei einem anderen Mythos der klassischen Operette bedient. So überschreibt Benatzky einfach die Musik aus Strauss‘ weniger bekannten Operetten wie „Cagliostro in Wien“, „Indigo und die 40 Räuber“ oder „Prinz Methusalem“ und und kombiniert sie mit anderen populären Stücke wie der „Pizzicato-Polka“. Und dann lässt er noch die Comedian Harmonists erstmals öffentlich mit der für die Gruppe später so typischen ironischen Musik auftreten. Was macht man daraus heute? Eine weitere Überschreibung, die sich nun Marco Štorman mit seiner Inszenierung an der Staatsoper Stuttgart gönnt!

Las-Vegas-Revue mit Liberace und reichlich Phallussymbolik

Die rudimentäre Handlung wird gekappt, wie auch die Operette mit ihren Zwischentexten. Der Show-Charakter der Revue dominiert dergestalt auch auf der Bühne von Demian Wohler mit einer organisch aussuppenden Showtreppe, den Glitzervorhängen und den schrill überbordenden Kostümen von Yassu Yabara. Hinzu kommt eine Choreografie von Cassie August Jørgensen, die mit Geschlechteridentitäten spielt. Es ist eine Show, angelehnt an Las Vegas und die barocken Performances eines Liberace. Und so spielt man sich durch die Varianten von Begehren, erotischen Maskeraden, einer Phallussymbolik von Kerzen, Kugeln, Patronen und Raketen. Da wimmelt es von Anspielungen und Andeutungen, Elon Musk kommt als bestechender Monarch auf die Bühne und selbst das Frauenbild unserer Neofaschisten wird karikiert. Diese Mixtur ist aber alles andere als lustig. Das Rollenmodell des Casanovas erscheint zuerst wie die aus der Muschel geborene Venus mit langem Haar, das dann zum Zopf eines Ancien-Regime-Bewohners gebunden wird, die Wiederholung der bekannten Porträtsilhouette des venezianischen Superliebhabers. Am Ende verausgabt sich dieser Casanova anhand von Sexpillen in die Vergreisung und legt sich dann zur ewigen Ruhe in der sich schließenden Muschel ab.

Trashiger Assoziationsreigen

Form gewinnt dieser ziemlich trashige Assoziationsreigen durch die Musik Benatzkys, die nicht weniger heterogen ist als Štormans Bilderreigen. Dieser musikalische Fluss reicht vom Wiener Walzer über Tango, Flamenco und italienische Mandolinenklänge bis hin zur Kirchenmusik und eben den Comedian Harmonists. Da kommt zusammen, was nicht zusammengehört und verkündet das Verführungsevangelium Casanovas als lustvolles Zusammenspiel der musikalischen Stilmittel. Eine Revue eben.

Kaum etwas in dieser Revue passt zusammen

Aber Štormans lässt dann ausgerechnet in der Szene des Wiener Opernballs aus dem Bühnenhimmel die verwackelte, zittrige Schrift „Revue ne va plus“ (revue geht nicht mehr) herabschweben. Bei aller musikalischen Fetzigkeit geht für ihn diese Revue dann offensichtlich doch nicht auf. Das männliche Begehren wird mit Texten von Judith Schalansky über die griechische Dichterin Sappho als Prinzip des weiblichen Begehrens konterkariert. Zusammen geht das auch nicht, wie eben kaum etwas in dieser Operettenrevue zusammenpasst. Die Montage und Collage dieser Regie betonen mehr die Bruchstellen als die Klebemittel.

Grandios gelingt die Interpretation der Comedian Harmonists

Man muss sich da schon an die Musik halten. Absolut grandios sind Kai Kluge, Elmar Gilbertsson, Moritz Kallenberg, Johannes Kammler und Florian Hartmann mit dem Pianisten Michael Pandya, die die Comedian Harmonists nicht imitieren, sondern als musikalisches Stilprinzip ausleben. Das Staatsorchester wirft sich mit Wucht unter der Leitung von Cornelius Meister in Benatzkys Füllhorn der Revuemusik. Manchmal kracht es aber auch etwas zu vehement aus dem Graben und reduziert Sängerinnen und Sänger zu Lippenbewegern. Man muss in dieser Operettenrevue sicher nicht alles verstehen, ob man aber die Texte nicht auch ohne Obertitelanlage verstehen soll, bleibt eine offene kritische Frage.

In musikalischer Hinsicht eindeutiger als in szenischer

Die Partie des Casanova ist nicht ohne. Bei der Uraufführung sang sie der Bariton Michael Bohnen, damals ein Superstar der deutschen und internationalen Opernbühnen. Michael Mayes stimmliche Spannweite ist enorm, da reicht er an den Uraufführungsinterpreten heran. Das szenisch Groteske beherrscht er. Wohl unfreiwillig verfällt er in den Brechtschen Verfremdungseffekt, mit dem er uns fast schon eindringlich zuwinkt, es wird hier nur gespielt. Als sei es doch auch ihm ein bisschen peinlich, dieser Ganzkörper-Nacktanzug. Esther Dierkes und Moritz Kallenberg sind ein durchaus anrührendes Paar als Laura und Hohenfels, dem man musikalisch das Liebesglück abnimmt. Der Staatsopernchor singt ausgezeichnet. In musikalischer Hinsicht ist der Abend jedenfalls etwas eindeutiger als in szenischer. Er zeigt: Benatzkys Überschreibung der Operette lohnt sich.
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