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Mit Johann August Schülein über die Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse
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Die Psychoanalyse ist eine der einflussreichsten Theorien des 20. Jahrhunderts. Sie prägte das moderne Verständnis dessen, was es heißt, ein Subjekt zu sein. In den letzten Jahrzehnten hat sie jedoch an Bedeutung verloren und ist in der akademischen Psychologie weitgehend marginalisiert. Sie gilt als unwissenschaftlich, manchmal sogar als esoterisch. Aktuell kämpft eine Petition für den Erhalt einer der letzten psychoanalytischen Lehrstühle in Deutschland.
In der Sendung versuchen wir, die Psychoanalyse wissenschaftstheoretisch zu verorten. Wir sprechen mit Johann August Schülein, der seit vielen Jahre zum Thema forscht. Für Schülein ist das psychodynamische Unterbewusste eine „autopoietische“ Realität. Ihre Dynamik, Reflexivität und Individualität kann nicht von „denotativen“ Theorien erfasst werden, wie sie etwa für naturwissenschaftliche Gegenstände angemessen sind.
Psychoanalyse stellt sich (wie andere Sozial- und Geisteswissenschaften) als konnotative Theorie dar. Sie kann ihrem Gegenstand nicht in einem einheitlichen Paradigma gerecht werden. Der Prekarität der Theoriebildung entspricht eine prekäre Institutionalisierung. Nach innen wie nach außen lässt sich nur eine brüchige Einheit herstellen. Schulbildung kann die Pluralität einhegen, bringt aber das Risiko sachlich nicht gerechtfertigter Abschottung mit sich. Überhaupt bleibt der Wissenschaftsstatus umkämpft, Laien von Experten unscharf getrennt. Und nicht zuletzt sind Analysen des Unbewussten bis heute unwillkommen, berühren sie doch den Kern personaler Identität, sind naturgemäß schmerzhaft.
Ein wenig Mitschuld an ihrer Situation trägt die Psychoanalyse laut Schülein freilich auch selbst. Zu sehr hat sie auf ihre Reinheit geachtet, und dabei mitunter eine eingehende Theoriediskussion und produktive Anschlüsse an quantitative Methoden versäumt. Für Schülein, emeritierter Professor für Soziologie, wäre demgegenüber ein großes Potential in der Verbindung von psychoanalytischer und soziologischer Forschung zu finden. Dazu müssen beide Disziplinen etwas von ihrer defensiven Selbstüberschätzung ablegen.
Links
- Johann August Schülein: Die Logik der Psychoanalyse (2016)
- Ders.: Ewige Jugend. Warum die psychoanalytische Theorie die Probleme hat, die sie hat (2012)
- Ders.: Psychoanalyse und Soziologie: Keine einfache Beziehung (2018)
- Rolf Haubl und Johann August Schülein: Psychoanalyse und Gesellschaftswissenschaften (2016)
- Petition „Forderung für den Erhalt des psychoanalytischen Lehrstuhls an der Goethe-Universität“
- Charles Percy Snow: The Two Cultures (1959)
- David Riesman: The Lonely Crowd (1950)
- Richard Sennett: The Corrosion of Character (1998)
- Alexander Mitscherlich: Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft (1963)
Transkript
Das Transkript zur Episode ist hier abrufbar. ACHTUNG: Das Transkript wird automatisch durch wit.ai erstellt und aus zeitlichen Gründen NICHT korrigiert. Fehler bitten wir deshalb zu entschuldigen.
Gast
- Johann August Schülein
Verwandte Episoden
Kapitler
1. Begrüßung (00:00:56)
2. Streifall Psychodynamik (00:04:32)
3. Lage in der Erkenntnistheorie (00:08:12)
4. Nomologische und autopoietische Wirklichkeit (00:12:16)
5. Akteure mit Psychoanalyse wieder einbringen (00:25:57)
6. Konkurrenz durch Rational Choice (00:27:29)
7. Psychoanalyse in der soziologischen Tradition (00:29:41)
8. Konnotative Theorien und Multiparadigmatik (00:34:48)
9. Prekäre Experten und Laien (00:50:51)
10. Widerstand gegen psychoanalytische Deutungen (00:55:01)
11. Isolationstendenzen in der Psychoanalyse (00:58:58)
12. Quantifizierung und Psychoanalyse (01:05:52)
13. Wo lohnt Zusammenarbeit von Psychoanalyse und Soziologie? (01:09:35)
14. Literaturempfehlungen? (01:14:36)
15. Broke for Free - Petal (01:25:30)
96 episoder
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In der Sendung versuchen wir, die Psychoanalyse wissenschaftstheoretisch zu verorten. Wir sprechen mit Johann August Schülein, der seit vielen Jahre zum Thema forscht. Für Schülein ist das psychodynamische Unterbewusste eine „autopoietische“ Realität. Ihre Dynamik, Reflexivität und Individualität kann nicht von „denotativen“ Theorien erfasst werden, wie sie etwa für naturwissenschaftliche Gegenstände angemessen sind.
Psychoanalyse stellt sich (wie andere Sozial- und Geisteswissenschaften) als konnotative Theorie dar. Sie kann ihrem Gegenstand nicht in einem einheitlichen Paradigma gerecht werden. Der Prekarität der Theoriebildung entspricht eine prekäre Institutionalisierung. Nach innen wie nach außen lässt sich nur eine brüchige Einheit herstellen. Schulbildung kann die Pluralität einhegen, bringt aber das Risiko sachlich nicht gerechtfertigter Abschottung mit sich. Überhaupt bleibt der Wissenschaftsstatus umkämpft, Laien von Experten unscharf getrennt. Und nicht zuletzt sind Analysen des Unbewussten bis heute unwillkommen, berühren sie doch den Kern personaler Identität, sind naturgemäß schmerzhaft.
Ein wenig Mitschuld an ihrer Situation trägt die Psychoanalyse laut Schülein freilich auch selbst. Zu sehr hat sie auf ihre Reinheit geachtet, und dabei mitunter eine eingehende Theoriediskussion und produktive Anschlüsse an quantitative Methoden versäumt. Für Schülein, emeritierter Professor für Soziologie, wäre demgegenüber ein großes Potential in der Verbindung von psychoanalytischer und soziologischer Forschung zu finden. Dazu müssen beide Disziplinen etwas von ihrer defensiven Selbstüberschätzung ablegen.
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- Ders.: Ewige Jugend. Warum die psychoanalytische Theorie die Probleme hat, die sie hat (2012)
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- Charles Percy Snow: The Two Cultures (1959)
- David Riesman: The Lonely Crowd (1950)
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7. Psychoanalyse in der soziologischen Tradition (00:29:41)
8. Konnotative Theorien und Multiparadigmatik (00:34:48)
9. Prekäre Experten und Laien (00:50:51)
10. Widerstand gegen psychoanalytische Deutungen (00:55:01)
11. Isolationstendenzen in der Psychoanalyse (00:58:58)
12. Quantifizierung und Psychoanalyse (01:05:52)
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